Nachruf auf Kristina Bræin (1955-2022)

Ich habe letzten Monat (Mai 2024) erfahren, dass die norwegische Künstlerin Kristina Bræin 2022 gestorben ist. Sie war meines Erachtens eine enorm unterschätzte, große Künstlerpersönlichkeit. Man findet online nur einen Nachruf auf norwegisch. Ich habe in meiner Galerie zwei Einzelausstellungen für Kristina ausgerichtet, und dazu Pressetexte verfasst, die auf meiner Galeriewebsite abrufbar waren. Die Website habe ich allerdings letzten Monat, über 5 Jahre nach meiner Geschäftsaufgabe, gelöscht. Ich trage daher hier zusammen, was ich seinerzeit über Kristinas Arbeit zu sagen hatte, und stelle einige persönliche Worte und Erinnerungen voran.

Kristina war eine freundliche, zurückhaltende, herzliche Person. Sie hatte eine überaus warme Ausstrahlung, lächelte und lachte viel, beim Lachen und Sprechen zeigte sie ein lustiges, aber auch nachdenkliches Blinzeln der Augen. Sie war eine sehr schöne, schlanke, groß gewachsene Frau, die auffiel, sie wirkte jugendlich, sie hatte Spannkraft und eine sehr weibliche Aura. Kristina hat Musik studiert, und dann Kunst gemacht. Sie bevorzugte ephemere Materialien, Fundstücke und sie vermochte aus den banalsten Dingen eine poetische Anordnung zu machen. Ich habe einigen Widerstand in mir verspürt, in der Absicht, ihre Arbeiten verkäuflich zu machen, ihr Aussagen abzuringen über die Kategorien, in denen die Kunstwerke auf lange Sicht zu betrachten wären. Gibt es diesen Holzstab noch, der da an der Wand lehnte vor 10 Jahren? Darf er ersetzt werden? In welchem Winkel muss er stehen? Wie lang genau ist der Klebestreifen hier in der Arbeit? Willst du einen RAL-Ton festlegen für diese Wandmalerei? Ist das ein unique piece? Existiert die Arbeit materialiter oder nur als Konzept? Kann das wiederaufgeführt werden? Was ist, wenn der Schaumstoff vergilbt, was, wenn er zerfällt? Sehr geduldig, manchmal überrascht, oft interessiert hat Kristina all diese Fragen, die ich auch von Sammmlern weitergab, weitergeben mußte, beantwortet. Sie hat ihre Arbeiten situativ entwickelt. Sie waren abhängig von ihrer Geste, ihren Handlungen und ihrer Intuition. Das ist dieser Welt jetzt genommen. Es existieren Werke physisch, andere sind für immer verloren, aber sie sind teilweise dokumentiert in ihrer wunderbaren Monografie. Ich bin sehr dankbar, dass ich so eng mit ihr zusammenarbeiten durfte, dass sie immer eingegangen ist auf meine Versuche, einzelne Werke zu fixieren, um sie an Sammler vermitteln zu können, in einigen Fällen war dies erfolgreich. Ich danke den Käufern, die sich eingelassen haben auf die Offenheit von Kristinas Arbeit. Ich bin dankbar, ein Werk von ihr zu besitzen.

Erstmalig sah ich Kristinas Position 2008 auf der Manifesta in Bozen, eine stimmige Installation in einer Industriehalle. Ich war überrascht, dass sie schon zu einer älteren Generation gehörte. Ihre Arbeit war jung, und Kristina wirkte viel jünger, als sie war. Ihre Werke waren so zart, so kraftvoll; sehr präsent in ihrer Flüchtigkeit. Sie hatte eine besondere Stärke im Bereich von Farben und Tonalitäten, sie komponierte ihre Anordnungen. Zahlreiche Arbeiten hatten subtilen Humor. Wenn sie beim Ausstellungsaufbau in langen Prozessen das mitgebrachte Material anordnete, ging sie sehr behutsam vor, fragte mich manchmal nach meiner Meinung, arrangierte neu, fügte hinzu, nahm weg, es war ein Verwandlungsprozess, meditativ, kontemplativ. Kristina gehörte definitiv nicht zu den egomanen Künstlern, die im Rahmen einer Galerieausstellung alle und alles ans Limit bringen müssen. Der vorhandene geistige und physische Raum der Galerie, den ich offerierte, war genug, sie griff den vorgefundenen Rahmen meines Kunsthandeluniversums auf, sie mußte keine Grenzen verschieben, den ganzen Laden umkrempeln, meine Limits austesten. Es war harmonisch, eine echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe, getragen von gegenseitigem Respekt. Es zeugte von ausgesprochener Eleganz und Würde, wie Kristina in ihren Werken allerdings Grenzen austestete. Ihre Arbeiten waren nicht immer für die Ewigkeit. Ich bin sehr dankbar für die Zusammenarbeit und die Zeit, die wir verbracht und für die sehr schönen Gespräche über Kunst und Ästhetik, die wir über ein Jahrzehnt hinweg geführt haben. Kristina war interessiert an Schönheit, das hatten wir gemeinsam. Sie war eine sehr kluge, nachdenkliche und tiefsinnige Frau. Ruhe in Frieden, Kristina.

Kristina Bræin hat 2008 (Group), 2011 (Solo & Group), 2015 (Solo) und 2018 (Group) bei Tanja Pol Galerie ausgestellt.

Aus den von mir verfassten Galerietexten (ich habe sie nachträglich in die Vergangenheit gesetzt, das erscheint mir richtig):

In der Ausstellung WHO DECIDED THE GREEN HERE (2011) waren Bilder, Skulpturen, Objekte und installative Eingriffe zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Sie war getragen von einer ruhigen, kontemplativen Stimmung, die durch die präzise, aber gleichzeitig zufällig wirkende Anordnung der Dinge im Raum, sowie ihre subtile Farbigkeit und sensible Materialkombination wirkte.
Kristina Bræin verwendete für ihre oft raumgreifenden Installationen Fundstücke und Alltagsgegenstände, die sie mitunter mit Wandmalereien kombinierte. Es entstanden auf diese Weise situative Anordnungen, die mitunter so beiläufig waren, dass man an Überbleibsel von Arbeitssituationen denken könnte. Die genauere Untersuchung der Objekte und Installationen zeigte allerdings gleichzeitig eine Artifizialität, die auf formalen Kriterien beruhte. Kacheln, Sandpapier, Karton, Luftpolsterfolie in Braun- und Rottönen wurden so am Boden plaziert, dass sich ein "Bild" ergibt, an dass sich ein "Wandbild" anschliesst, eine blassgelbe Wandmalerei, die noch die Begrenzung aus Malerkrepp als "Rahmen" hat.
Zufällige Gesten des Fallenlassens, bewusste Platzierungen neben- und übereinander gleichen sich an in Gebilden, die die Tradition des Minimal und der Konzeptkunst der 60er und 70er Jahre zeitgenössisch weiterführen.

Der Ausstellungstitel THE WEAVER'S DAUGHTER (2015) hatte eine biografische Referenz: Die Mutter der Künstlerin war Weberin und arbeitete mit besonderem handwerklichen Geschick, das die Künstlerin sehr bewunderte, mit Textilien und Stoffen in verschiedenen Techniken. Bræin war also in der Tat die Tochter einer Weberin, und in der Ausstellung "webte" sie beispielsweise im Raum auf ihre eigene, minimalistische Art und Weise, indem sie Wollfäden in der Architektur mit Fundstücken und Wandzeichnungen aus Klebeband verband.

Bræin, geboren 1955 in Oslo, stellte 2008 auf der MANIFESTA 7 in Bozen aus, wo sie in der Alumix-Halle eine Installation aus Lampenschirmen, Kacheln und Klebestreifen so anordnete, dass sich ein Ort der Ruhe und Kontemplation ergab, der in spannungsreichem Kontrast stand zu den zahlreichen Medienarbeiten und Installationen in der Umgebung ihrer Arbeit.
2003 vertrat sie Norwegen auf der Biennale in Venedig (Nordischer Pavillion).