Weltkindertag, Weltfrauentag, Tag des Bieres, Tag der Arbeit: Ja, man kann das leicht abtun, blöd finden, oder auf intellektuelle oder dämliche Weise über solche Tage sprechen. Darum geht es hier nicht. Ich nehme den heutigen Weltkindertag (20.9., in Thüringen übrigens ein gesetzlicher Feiertag!) zum Anlass, eine gigantische Lanze für Kinder zu brechen. Es ist total absurd, dass das nötig ist. Aber es ist so dringend, es sollte über nichts anderes gesprochen werden. Das meine ich ernst. Und ich habe auch eigentlich gar keine Lust irgendetwas zu begründen, oder zu argumentieren, zu erklären oder zu framen, sondern ab jetzt werde ich in möglichst klaren Sätzen sagen, was ich glaube, was ich tief empfinde, wofür ich brenne, und wofür ich einstehen will, wenn es um Kinder geht. Nein, ich bin keine Pädagogin, keine Wissenschaftlerin, nein. Ich bin Mensch, und Mutter, und ich war auch Kind. Ich behaupte auch, dass untenstehendes größtenteils auf so etwas wie common sense beruht.


Kinder haben bedingungslos Anspruch auf Liebe, Zuwendung, menschliche Wärme, Respekt und ihre Würde. Bedingungslos.


Kinder sind niemals für Erwachsene verantwortlich. Ohne wenn und aber. Es ist umgekehrt, immer: Wir, die Erwachsenen, sind für Kinder verantwortlich, und für uns selber. Wir können das. Es ist das, was mündige Erwachsene ausmacht. Natürlich wachsen Kinder in Verantwortung hinein, vor allem in der Adoleszenz. Aber sie tragen keine Verantwortung für andere, solange sie nicht selbst Erwachsene sind (schon gar nicht für deren Gesundheit).


Wir, die Erwachsenen, die Eltern, müssen unsere Interessen und Befindlichkeiten zurückstellen für unsere Kinder. Je kleiner das Kind, desto mehr muss ich mich zurücknehmen und „einschränken“ (und daran wachsen). Das nervt nicht, das ist einfach so. Es ist nicht diskutabel. Und es geht vorbei: This too shall pass. Ja, es dauert Jahre. 18 Jahre, um genau zu sein. Es kommt ein Zeitpunkt, an dem sind die Kinder er-wachsen. Dann kann ich dauerchillen und dauerarbeiten. Und ich kann vorher immer, wenn sie mich gerade nicht brauchen, mich ausruhen, durchhängen, Energie tanken, was für mich machen, arbeiten. Es ist nicht die Aufgabe der Kinder, mir die Möglichkeit zu geben, meiner Arbeit nachzugehen oder mich auszuruhen. Wenn sie klein sind, bin ich für sie da. Das ist kein Opfer, es ist NORMAL. Es ist eine Abfolge von Phasen, die die kindliche Entwicklung vorgibt. Nicht ich. Ich begleite. Ja, ich achte auch auf mich, im Rahmen dessen. Und ja, ich kann mir Hilfe holen, um die Phasen zu durchstehen. Ja, es kann sehr anstrengend sein. Und das ist ok.


Es ist niemals ok, sich hellichten Tages über spielende Kinder zu beschweren. Nein, spielende Kinder müssen keine Rücksicht auf die Geräuschempfindlichkeit von Erwachsenen nehmen. Nein, es gibt keine Ausnahme. Es ist mir unerklärlich, wie Menschen sich so entwickeln konnten, dass das Lachen, Schreien, Toben von Kindern sie stören kann, sie wütend machen, sie ärgern. Natürlich kann man Kindern beibringen, dass es Regeln gibt. „Sei leise im Garten“ oder „Schrei doch nicht so!“ auf dem Spielplatz ausgesprochen ist keine Regel, sondern abartiger Schwachsinn. Es gab Momente in den letzten zwei Jahren, da hat es mich gegruselt. Ich habe den ganzen Tag keine lauten, lachenden Kinderstimmen gehört. Totenstille, wie auf dem Friedhof. Es hat mich fertig gemacht. Es war falsch. Womit wir beim nächsten Punkt wären.


Kinder dürfen niemals eingesperrt werden. Sie müssen manchmal, in seltenen Fällen zuhause bleiben, aber sie dürfen unter keinen Umständen weggesperrt werden. Der einzige Grund, ein Kind im Haus zu halten, ist: es selber ist akut krank oder draußen fliegen Bomben.


Kinder brauchen zum Leben freies Spiel. Sie sollen dabei möglichst nicht unterbrochen werden. Irgendwann ist die Spielzeit naturgemäss zu Ende und es gibt etwas zu tun: nach Hause gehen, essen, schlafen. Ansonsten gibt es kaum Gründe, Kinder zu unterbrechen beim Spiel.


Kinder haben ein Geburtsrecht auf viele Momente ungeteilter Aufmerksamkeit, je nach Alter. Ich denke oft darüber nach, was es mit einem Kind macht, wenn es von Bezugspersonen umgeben ist, die ein kleines Gerät interessanter finden als die Welt, in der das Kind sich mit den Menschen erlebt.

Wenn ein Kind einem Erwachsenen etwas sagen will, dann muss der Erwachsene zuhören. Ja, es gibt Momente, wo man nicht zuhören kann, oder etwas beenden muss. Kinder verstehen das. Eine Whatsapp schreiben ist in aller Regel nicht ein solcher Moment. Ich meine nicht, dass Erwachsene bei jedem Piep des Kindes ihr Erwachsenengespräch beenden müssen. Im Gegenteil, auch hier können Kinder Regeln lernen. Aber ich meine, dass Erwachsene ihre Antennen mehr im hier und jetzt haben sollten, um zu spüren, wann das Kind echte Aufmerksamkeit braucht, und das sage ich auch zu mir selber. Vor allem kleinere Kinder brauchen, dass wir meistens ganz da sind. (Wie sehr bist du da mit Earpods?) Das kann auch bedeuten, dass sie beobachten, wie wir vollkommen mit einer analogen Tätigkeit beschäftigt sind. Sie lernen auch dadurch, und es hat oft beruhigende Wirkung. Auch wenn wir uns etwas anderes einreden, sie merken, wenn wir im Kopf nicht da sind. Wenn sie sich meistens darauf verlassen können, dass wir in wichtigen Momenten voll da sind, sind sie auch mehr bei sich, und kommen nicht permanent quengelnd zu einem, um sich zu versichern, dass wir „da“ sind, geistig, emotional, mental.


Kinder haben einen Anspruch auf Privatsphäre. Ich bin der unpopulären Meinung, dass man seine Kinder grundsätzlich nicht in social media präsentieren sollte. Ja, wir sind stolz auf unsere Kinder. Das ist gut. Das wars dann auch schon. Ich verzichte jetzt bewusst darauf, über Babys und Kinder als Props in Influencer- und Prominenten-Postings zu sprechen: It goes without saying, was ich davon halte. Ja, ich ganz persönlich. Es steht den Lesern dieses Textes frei, das total super zu finden.


Kinder haben ein Recht auf Bildung, und zwar auf ganzheitliche. Nee, nicht nur Zahlen und Buchstaben. Kinder lernen auch durch Erfahrung, mit dem Körper. Und das ist auch Sport, Kunst, Werken, Ethik/Religion, Musik. Die letztgenannten Dinge sind gleichwertig mit Mathe, Deutsch und Sprachen. Sie können nicht angemessen online unterrichtet werden. Ganzheitliche Bildung ist meiner Meinung nach online kaum möglich. Das Kind lernt von anderen präsenten Menschen, von dem, was sie sagen, aber auch von ihrem Wesen, ihrer Ausstrahlung, ihrer Mimik, ihrem Schweigen, ihrer Körpersprache. Aber Mathe und Rechtschreibung sind auch kein überflüssiger Schmarrn.


Kinder haben ein Recht auf Kindheit. Es ist nicht von ihnen zu erwarten, dass sie sich wie Erwachsene verhalten. Und man darf sie auch nicht dorthin manipulieren. Kennt Ihr den Satz „Die machen das so gut...!“ Hört man in letzter Zeit ziemlich oft. Hört da mal genau hin. Was wird da eigentlich gesagt?

Und sie sollten entsprechend altersgemäß vor Erwachseneninhalten geschützt sein. Es wäre demnach zu überlegen, was es eigentlich bedeutet, wenn wir Kinder und Jugendliche „unbegleitet“ ins WWW lassen. Da ist alles zu finden, wovor wir sie im echten Leben oft überprotegieren. Junge Menschen unter 18 sind junge Menschen unter 18. Diese Grenze zum Erwachsensein haben wir irgendwann mal gesetzt, es ist eine Schutzgrenze. Es gibt Leute da draussen, die wollen das nach unten schieben in bestimmten Bereichen, in denen sie eigene, erwachsene Interessen haben. Die Antwort ist NEIN.


Kinder brauchen Rituale, Stabilität, Gewohnheiten und Langsamkeit mehr als ständig etwas Neues und schnelle Wechsel.

Es ist wichtig, sich immer wieder auf das Tempo einzulassen, was das Kind vorgibt. Mindestens einmal am Tag. Je kleiner das Kind, desto öfter. Als ich noch im Kindergarten war, habe ich morgens um 7 Uhr an der Badewanne gestanden, während meine Mutter sich am Waschbecken fertig gemacht hat. Ich habe seeehr lange das Stück Seife in meiner Hand gedreht, bis sich richtig viel Schaum gebildet hat, dann legte ich die Seife weg, um meine Hände einzuseifen, bis der Schaum wie Sahne wurde. Erst dann war ich fertig. Es war Zeit zum Wachwerden und gab Raum für Konzentration, es war sinnlich, ein Ritual, Langsamkeit, Kontemplation, Meditation. Natürlich sind das Erwachsenenbegriffe. Ich werde für immer dankbar sein, dass niemand rumgemäkelt hat, dass ich Wasser, Zeit, Seife verschwende, dass ich schneller machen soll, dass ich aufhören soll da rumzuspielen, oder was man alles falsch finden kann. Das Ritual war stabil, und es hat meiner Mutter wohl auch Raum verschafft, ihren Ritualen nachzugehen.


Ja, Kinder fordern uns extrem heraus, und das ist die gute Nachricht. Da kann man als Erwachsene auch noch mal schön weiterwachsen. Kennt ihr noch diese Wachstumsschmerzen in den Knochen und Muskeln? Kann krass sein. Was haben die Großen dann immer gesagt? „Du wächst!! Das ist gut. Geht vorbei.“


Ich fasse zusammen.

Kinder haben ein Recht auf Kindheit; auf Lebendigkeit, Raum, Licht und Luft; Würde, Respekt und Privatsphäre; Ruhe und ihre eigene Lautstärke, auf Schutz und Geborgenheit; auf ihr Tempo und Geduld; Spiel und Bildung; Freiheit von Verantwortung und Überforderung; die Unversehrtheit ihres Körpers; auf klare Regeln und Grenzen sowie Freiheit von Manipulation; auf bedingungslose Liebe und Zuwendung.


In den letzten zweieinhalb Jahren ist mir fast der Kopf explodiert diesbezüglich, so, und jetzt hat es eine Form. Es sind nicht alles Rechte im juristischen Sinne, schon klar. Sie sind MORALISCH geboten.


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